Zu „Weiblich, fünfzig, unsichtbar“

Leserbrief zum Artikel von Melanie Mühl (FAZ v. 23.03.2023)

Helen Mirren
Helen Mirren (DCI Jane Tennsion in Prime Suspect): weiblich, 77, sichtbar

Der Beitrag „Weiblich, fünfzig, unsichtbar“ (FAZ, 23.03.2023) der geschätzten Melanie Mühl erscheint mir „aus der Zeit gefallen“ zu sein.

1. Frau Mühl reproduziert darin das Vorurteil, die Sicht der Frauen auf die Ästhetik ihres Körpers sei durch den Blick des Mannes bestimmt. Jungen und älteren Frauen wird abgesprochen, ein (ur)eigenes Interesse an ihrer Schönheit, Ästhetik und Mode zu haben.

2. Die Autorin reproduziert außerdem das Vorurteil, dass die ästhetische Selbstdarstellung junger Frauen in den Medien, in der Mode und gelegentlich mit Hilfe der plastischen Chirurgie keinen selbstbestimmten Willen zum Ausdruck bringe. Auf kommunaler Ebene, so gebe ich zu Bedenken, gehen wir vielerorts davon aus, dass Jugendliche ab 16 Jahren auf dem Stimmzettel bei Wahlen ihren authentischen politischen Willen ausdrücken, aber beispielsweise der Wunsch von jungen Frauen, die Couperose auf ihren Wangen lasern zu lassen, sollte als fremdbestimmt angesehen werden?! Das überzeugt nicht.

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Zeitenwende – Zeit der Verantwortung

Olaf Scholz
Olaf Scholz
Max Weber
Max Weber
Joachim Gauck
Joachim Gauck
Die Regierungserklärung eines Kanzlers, der Vortrag eines soziologischen Klassikers und die Eröffnungsrede eines Bundespräsidenten

Siehe auch die erweiterte Deutschlandarchiv-Fassung dieser Arbeit bei der Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb).


Siehe auch den Artikel und Podcast mit Prof. Christiane Bender im Hamburger Abendblatt vom 28. Februar 2023 mit Podcast


Am 27. Februar jährte sich die Regierungserklärung, die der deutsche Bundeskanzler drei Tage nach dem Beginn des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine abgab. Sie wurde im In- und Ausland bejubelt. In schwieriger Zeit fand Olaf Scholz klare Worte der Analyse und Verurteilung. Sichtlich erschüttert beschrieb er die verheerende Lage der ukrainischen Bevölkerung und die Konsequenzen für die Gefährdung, ja Zerstörung der europäischen Friedensordnung. Der Kanzler erkannte, allein mit den bisherigen Mitteln der deutschen Politik, mit Verhandlungen und Sanktionen, kann man den Vormarsch nicht aufhalten. Er kündigte daher eine Zeitenwende der Regierungspolitik an. Dazu zählen: die Ukraine mit Waffenlieferungen zu unterstützen, die Außen-, Sicherheits- und Energiepolitik neu auszurichten, Sanktionen zusammen mit der EU gegen Russland zu verhängen und ein zusätzliches Sondervermögen für die nachholende Ausrüstung der Bundeswehr bereitzustellen, damit sie den zentralen Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung künftig gewachsen ist. „Zeitenwende – Zeit der Verantwortung“ weiterlesen

Zeitenwende – auch ein Ende tradierter Geschlechterstereotypen?

Vom 16.–18. November fand die Tagung „Militär hat kein Geschlecht, der Krieg schon“ am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam statt, die Stadt, in der Marie Christiane Eleonore Prochaska (* 11. März 1785 in Potsdam; † 5. Oktober 1813 in Dannenberg) geboren wurde.

Eleonore Prochaska

Eleonore Prohaska:
* 11. März 1785 (Potsdam), † 5. Okt. 1813 (Dannenberg). 1813 schloss sie sich unter dem Namen August Renz als freiwilliger Jäger zu Fuß dem Lützow’schen Freikorps an. In der Schlacht an der Göhrde, wo Preußen und Russen über die Franzosen siegten, wurde sie am 16. Sept. 1813 tödlich verwundet. Ihr kriegerischer Einsatz wurde von Pichler, Förster und Rückert in Gedichten besungen und mehrfach, u.a. von Friedrich Duncker dramatisch verarbeitet wozu Ludwig van Beethoven 1815 die Schauspielmusik schrieb (WoO 96). [mehr]

Christiane Bender hielt den Vortrag: „Zeitenwende – auch tradierte Geschlechterstereotypen am Ende?“

Exposé des Vortrags

Der Bundeskanzler schlug in seiner Rede, drei Tage nach dem völkerrechtswidrigen russischen Angriff auf die Ukraine, eine sicherheitspolitische Zeitenwende ein. Er machte deutlich, dass die nachholende Ausrüstung der Bundewehr, die Waffenlieferung in das Kriegsgebiet und die Einhaltung der Bündnisverpflichtungen im Interesse Deutschlands sind. Dieses offizielle Umdenken wird von einer breiten Zustimmung in der Bevölkerung getragen, nicht zuletzt aufgrund der in öffentlichen Debatten eingebrachten Expertise des weiblichen Personals aus Medienanstalten, Think Tanks und Stiftungen. Die Zeitenwende gelingt jedoch nur nachhaltig, wenn künftig die gesellschaftliche Verantwortung für Schutz und Sicherheit nicht bei einer „männlich dominierten militärischen Kaste“ liegt, sondern jenseits geschlechtsspezifischer Zuordnungen in der Mitte der Gesellschaft und aus ihr heraus wahrgenommen wird. Frauen haben bereits in der Ausübung der ihnen traditionell zugeschriebenen Fähigkeiten (Kommunizieren, Therapieren Erziehen, Betreuen etc.) in den sozialen Diensten des Wohlfahrtstaats einen immensen (indirekten) Anteil, Gewalt einzuhegen. Im Angesicht gegenwärtiger Bedrohungslagen werden sie dringend auch in den Zentren von Männerdomänen (Polizei, Bundeswehr) gebraucht, wo die Gewaltmittel zum Schutz und zur Sicherung des Friedens bereitgestellt werden. Erfahrungen von Israel und Schweden geben dazu Anregungen.

Thesenpapier

  1. Die Politik der Zeitenwende, in deren Zentrum die Stärkung der militärischen Fähigkeiten zur Verteidigung von Frieden und Freiheit steht, braucht Frauen und Männer aus der Mitte der Gesellschaft, zum Diskurs in der Gesellschaft, zur politischen Unterstützung, in der Bundeswehr.
  2. Dienste, ob sie nun in der Bundeswehr oder in sozialen Einrichtungen (Sozialstaat, zivilgesellschaftlich) erbracht werden, sind für unsere Gesellschaft unverzichtbar, sie sind sozialmoralisch als gleichwertig anzukennen; wer sie ausübt, übernimmt große Verantwortung.
  3. Zeitenwende heißt, tradierte Geschlechterstereotypen (Frauen erhalten Frieden, Männer gefährden ihn) in Köpfen und in der Realität zu überwinden
  4. Deutschland ist seit der Wiedervereinigung ein weltweit anerkannter souveräner Staat. Zum Staat gehört es, das Monopol über die Gewaltmittel auszuüben. Sie sind im Rechtsstaat in die zweckgebundenen Organe zur Ausübung der inneren (u. a. Polizei) und äußeren Sicherheit (Bundeswehr, im Kern der Landes- und Bündnisverteidigung) transformiert. Militarisierung war früher! Die Bundeswehr als Parlamentsarmee ist zutiefst eingebunden in die rechtsstaatlich verankerte Demokratie. Militarisierung findet umso weniger statt, je mehr die diverse Mitte und gesellschaftliche Basis in den Organisationen vertreten sind.

Frauen haben in den letzten Jahrzehnten in nahezu unvergleichlicher Weise tradierte Verhaltensmuster verändert und Neuland erobert. Vom ehemaligen „katholischen Mädchen vom Land“ (Anfang 60er) fahren sie nun auf der schulischen Überholspur, sie holen am Arbeitsmarkt auf, sind vor allem im Bereich sozialer Dienstleistungen vertreten und übernehmen Verantwortung in Familie und Beruf. Sie werden dringend in Polizei und Bundeswehr gebraucht für deren Verankerung in der Mitte und Basis der Gesellschaft.


Literatur:

Christiane Bender, Kapitänleutnant – ein Frauenberuf? Interview 2016, veröffentlicht auf: https://christianebender.eu/wp-content/uploads/2022/09/Potsdam-2022-Interview-Kapitaenleutnant2.pdf

Christiane Bender (2015): Geschlechterdifferenz und Partnerschaft in der Bundeswehr, S. 357-377, in: Bohrmann, Thomas/Lather, Karl-Heinz/ Lohmann, Friedrich (Hrsg.): Handbuch Militärische Berufsethik. Band 2, Wiesbaden, VS Verlag

Christiane Bender (2005): Geschlechterstereotypen und Militär im Wandel. Symbolische und institutionelle Aspekte der Integration von Frauen in die Bundeswehr, S. 45-61 in: Ahrens, Jens-Rainer/Apelt, Maja/Bender, Christiane (Hg.): Frauen im Militär. Empirische Befunde und Perspektiven zur Integration von Frauen in die Streitkräfte, Wiesbaden, VS Verlag


Schauen Sie sich dazu auch meine Präsentation (2018):
„Frauen in der Bundeswehr“ an.

Föderalismus und Subsidiarität

Christiane Bender / Hans Graßl (2022), Frühe Wurzeln des föderalen Verfassungsstaats, in: Deutschland Archiv, 7.6.2022, Link: www.bpb.de/508786

Emder SynodeOtto Waalkes; Foto: Harald Bischoff

Friedrich Hölderlin hat mit dem „Nabel dieser Erde“ Frankfurt, nicht Emden gemeint. Im Beitrag von Bender/Graßl wird jedoch auf eine weitgespannte Wirkungsgeschichte Emdens hingewiesen, die eine ähnliche Bezeichnung für die ostfriesische Stadt rechtfertigt. In der Frühen Neuzeit wird sie „Genf des Nordens“ genannt. Emden ist damals ein Zentrum des innerprotestantischen Dialogs; es nimmt die verfolgten Anhänger Calvins aus Frankreich und den Niederlanden auf; 1571 findet die Emder Synode statt, in der die Abgeordneten eine Kirchenordnung nach den Prinzipien der Subsidiarität zum Schutz von Selbstverantwortung und Selbstständigkeit ihrer im Untergrund existierenden Gemeinden beschließen; wenig später betätigt sich im Stadtrat der Staats- und Rechtstheoretiker Johannes Althusius und überarbeitet seine „Politica“, ein Klassiker des Föderalismus bis heute.

Bender/Graßl skizzieren davon ausgehend Einflüsse auf die amerikanische Verfassungsgeschichte und über die ambivalente preußische Linie auf das Wilhelminische Kaiserreich. In der deutschen Nachkriegsgeschichte, insbesondere in der Ausarbeitung des Grundgesetzes, zeigen die Autoren, dass Subsidiarität und Föderalismus als zentrale Ideen für die Entwicklung von Demokratie und Rechtsstaat betrachtet werden, um eine freiheitliche Gesellschaft zu entwickeln und Totalitarismus zu verhindern. Die Wiedervereinigung kommt auf föderalem Weg zustande, als Beitritt der „neuen Länder“ zur Bundesrepublik. Auch die Europäische Union wird als föderales und subsidiäres Projekt gegründet. In dieser Wirkungsgeschichte Emdens, vermittelt über viele Verzweigungen, geht es um die Bewahrung der Rechte auf Selbstbestimmung und Selbstverantwortung von kleineren Gemeinschaften gegenüber der Fremdherrschaft durch Anmaßung übergreifender Organisationsmacht.

Zu Emden, das mit der wunderbaren Johannes a Lasco-Bibliothek seine protestantisch-obrigkeitskritische Tradition pflegt, passt ein widerspenstig-rebellischer Typ wie der Komiker Otto. Da schließt sich der Zusammenhang zu Frankfurt, haben doch die Humoristen der zweiten Frankfurter Schule fleißig für den Ehrenbürger Emdens viele Witze geschrieben.

Im Folgenden finden Sie den Text von Bender/Graßl als PDF:

»Frühe Wurzeln des föderalen Verfassungsstaats – Die Emder Synode von 1571 und der Geist des reformierten Protestantismus«

Impulse auf dem umkämpften Weg der Staatenbildung in Europa zu einer föderal-subsidiären Gewaltenteilung im wiedervereinten Deutschland«

Eine Meisterleistung!

4./5./6. Juni: „70 Jahre. Hamburg feiert sein Grundgesetz. Die Landesverfassung der Hansestadt hat am Montag Geburtstag. Ein Magazin würdigt es“ – Leserbrief an das Hamburger Abendblatt

Historisch betrachtet ist es missverständlich, den Begriff Grundgesetz auf eine Länderverfassung anzuwenden. Max Brauer, Bürgermeister auf der Grundlage der „vorläufigen Verfassung der Hansestadt Hamburg“ (1946), schlug ihn als eine pragmatisch-kreative Kompromissformel im Juli 1948 vor. Sie entsprach zugleich dem Drängen der West-Alliierten auf Ausarbeitung einer Länder übergreifenden Rechtsordnung und dem Bedenken der Länderchefs, mit einer Verfassung die drohende Spaltung Deutschland voranzutreiben. Zwischen August 1948 und Mai 1949 wurde daher das Grundgesetz zunächst als vorläufiger Verfassungstext auf Herrenchiemsee vorbereitet und dann im Parlamentarischen Rat, der aus 65 von elf Länderparlamenten gewählten Abgeordneten bestand, ausgearbeitet und verabschiedet. Eine Meisterleistung! Das Grundgesetz erschien schon bald den Deutschen nicht mehr als Provisorium, sondern als ausformulierter Inbegriff ihrer gemeinsamen Identität, auch nach der Wiedervereinigung. Aus Hamburg waren Paul de Chapeaurouge (CDU) und der Bürgerschaftspräsident Adolf Schönfelder (SPD), Alters- und Vizepräsident im Rat, beteiligt. Nehmen diese Vorgänge und die verantwortlichen Akteure in der Hamburger Erinnerungskultur den ihnen gebührenden Platz ein? Nein! Ein „Platz des Grundgesetzes“ in der City könnte diese Lücke schließen.

24.04–04.05.2022: New Political Order – Radical Change or Transformation?

Course:
Social Philosophy (Profs. Vujadinovic, Brunkhorst, Rassmussen, Raulet)
Location: IUC Dubrovnik

Solidarität mit der Ukraine


Christiane Bender:
Turning Point: Lifelong Illusions are coming to an end (Auszug aus der deutschen Fassung des Vortragsmanuskripts; die vollständige Arbeit erscheint im Jahrbuch Politisches Denken 2022, ca. Anfang 2023)

1.The Invasion

Der Präsident der Russischen Föderation Wladimir (übersetzt: groß in seiner Macht) Putin befahl am 24. 02. 2022 seinen Truppen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Eines der wichtigsten Dokumente des Völkerrechts, die Charta der United Nation, verbietet die Androhung und Anwendung von Gewalt zwischen Staaten.[1] Die Ukraine ist ein souveräner Staat, deren territoriale Unversehrtheit und politische Integrität in mehreren Verträgen ausdrücklich bestätigte wurde.[2]

Die Konzentration der russischen Truppen an der ukrainischen Grenze wurde über viele Monate weltweit mit Sorge beobachtet, in Deutschland dennoch zumeist lediglich als Drohgebärde (Beispiel: ehem. NATO-General Kujat) verharmlost. Putin beruhigte die sensiblen Gemüter und sprach bis kurz vor der Invasion von Manöver, die demnächst beendet würden und vom Truppenrückzug. Gleichzeitig forderte er unmissverständlich, dass die sogenannte Osterweiterung der NATO rückgängig zu machen ist und die ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts wieder zur russischen Einflusszone gehören werden. Das bedeutete, die Souveränität dieser Staaten, ihr Selbstbestimmungsrecht in Bündnisfragen, würde aufgegeben. „24.04–04.05.2022: New Political Order – Radical Change or Transformation?“ weiterlesen

Zu Hegels 190. Todestag

Zu diesem besonderen Tag habe ich eine Geschichte geschrieben über einen Professor mit seinen Studenten und Studentinnen geschrieben, die sich schrecklich quälten, Hegel zu verstehen und dabei manches erlebt haben. Am Ende wurden sie erwachsen. Hier ist die Geschichte Hegel und der italienische Abend – Ein Sittengemälde zu lesen und hier zu hören (in drei Teilen – gelesen von Petra Mayer und Ingo Abel):

„Zu Hegels 190. Todestag“ weiterlesen

„Tradition am Totensonntag“

Publikation und Lesung des autobiographischen Texts im Kieler Literaturhaus:

Am 20. 11. 2021, 15.00 Uhr wurde im Literaturhaus in Kiel eine gerade veröffentlichte Anthologie mit Beiträgen vorgestellt. Daraus las ich meine kleine Erzählung „Tradition am Totensonntag“. In diesem Text erinnere ich mich an die in meiner Familie ausgeübte Tradition, am Totensonntag das Grab des Großvaters zu besuchen. Der Text endet mit meinem späten Entdecken und Erschrecken über das Schweigen der Verwandten, was eigentlich zu dem Ort der Grabstätte hätte mitgeteilt werden sollen.

Wer diesen Text verallgemeinernd interpretieren will, kann die Erzählung als Hinweis auf das Unbehagen der Nachkriegsgenerationen am Fortführen familiärer Traditionen verstehen.

Die Lesung wurde von NordBuch e.V. veranstaltet.