Zeitenwende – auch ein Ende tradierter Geschlechterstereotypen?

Vom 16.–18. November fand die Tagung „Militär hat kein Geschlecht, der Krieg schon“ am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam statt, die Stadt, in der Marie Christiane Eleonore Prochaska (* 11. März 1785 in Potsdam; † 5. Oktober 1813 in Dannenberg) geboren wurde.

Eleonore Prochaska

Eleonore Prohaska:
* 11. März 1785 (Potsdam), † 5. Okt. 1813 (Dannenberg). 1813 schloss sie sich unter dem Namen August Renz als freiwilliger Jäger zu Fuß dem Lützow’schen Freikorps an. In der Schlacht an der Göhrde, wo Preußen und Russen über die Franzosen siegten, wurde sie am 16. Sept. 1813 tödlich verwundet. Ihr kriegerischer Einsatz wurde von Pichler, Förster und Rückert in Gedichten besungen und mehrfach, u.a. von Friedrich Duncker dramatisch verarbeitet wozu Ludwig van Beethoven 1815 die Schauspielmusik schrieb (WoO 96). [mehr]

Christiane Bender hielt den Vortrag: „Zeitenwende – auch tradierte Geschlechterstereotypen am Ende?“

Exposé des Vortrags

Der Bundeskanzler schlug in seiner Rede, drei Tage nach dem völkerrechtswidrigen russischen Angriff auf die Ukraine, eine sicherheitspolitische Zeitenwende ein. Er machte deutlich, dass die nachholende Ausrüstung der Bundewehr, die Waffenlieferung in das Kriegsgebiet und die Einhaltung der Bündnisverpflichtungen im Interesse Deutschlands sind. Dieses offizielle Umdenken wird von einer breiten Zustimmung in der Bevölkerung getragen, nicht zuletzt aufgrund der in öffentlichen Debatten eingebrachten Expertise des weiblichen Personals aus Medienanstalten, Think Tanks und Stiftungen. Die Zeitenwende gelingt jedoch nur nachhaltig, wenn künftig die gesellschaftliche Verantwortung für Schutz und Sicherheit nicht bei einer „männlich dominierten militärischen Kaste“ liegt, sondern jenseits geschlechtsspezifischer Zuordnungen in der Mitte der Gesellschaft und aus ihr heraus wahrgenommen wird. Frauen haben bereits in der Ausübung der ihnen traditionell zugeschriebenen Fähigkeiten (Kommunizieren, Therapieren Erziehen, Betreuen etc.) in den sozialen Diensten des Wohlfahrtstaats einen immensen (indirekten) Anteil, Gewalt einzuhegen. Im Angesicht gegenwärtiger Bedrohungslagen werden sie dringend auch in den Zentren von Männerdomänen (Polizei, Bundeswehr) gebraucht, wo die Gewaltmittel zum Schutz und zur Sicherung des Friedens bereitgestellt werden. Erfahrungen von Israel und Schweden geben dazu Anregungen.

Thesenpapier

  1. Die Politik der Zeitenwende, in deren Zentrum die Stärkung der militärischen Fähigkeiten zur Verteidigung von Frieden und Freiheit steht, braucht Frauen und Männer aus der Mitte der Gesellschaft, zum Diskurs in der Gesellschaft, zur politischen Unterstützung, in der Bundeswehr.
  2. Dienste, ob sie nun in der Bundeswehr oder in sozialen Einrichtungen (Sozialstaat, zivilgesellschaftlich) erbracht werden, sind für unsere Gesellschaft unverzichtbar, sie sind sozialmoralisch als gleichwertig anzukennen; wer sie ausübt, übernimmt große Verantwortung.
  3. Zeitenwende heißt, tradierte Geschlechterstereotypen (Frauen erhalten Frieden, Männer gefährden ihn) in Köpfen und in der Realität zu überwinden
  4. Deutschland ist seit der Wiedervereinigung ein weltweit anerkannter souveräner Staat. Zum Staat gehört es, das Monopol über die Gewaltmittel auszuüben. Sie sind im Rechtsstaat in die zweckgebundenen Organe zur Ausübung der inneren (u. a. Polizei) und äußeren Sicherheit (Bundeswehr, im Kern der Landes- und Bündnisverteidigung) transformiert. Militarisierung war früher! Die Bundeswehr als Parlamentsarmee ist zutiefst eingebunden in die rechtsstaatlich verankerte Demokratie. Militarisierung findet umso weniger statt, je mehr die diverse Mitte und gesellschaftliche Basis in den Organisationen vertreten sind.

Frauen haben in den letzten Jahrzehnten in nahezu unvergleichlicher Weise tradierte Verhaltensmuster verändert und Neuland erobert. Vom ehemaligen „katholischen Mädchen vom Land“ (Anfang 60er) fahren sie nun auf der schulischen Überholspur, sie holen am Arbeitsmarkt auf, sind vor allem im Bereich sozialer Dienstleistungen vertreten und übernehmen Verantwortung in Familie und Beruf. Sie werden dringend in Polizei und Bundeswehr gebraucht für deren Verankerung in der Mitte und Basis der Gesellschaft.


Literatur:

Christiane Bender, Kapitänleutnant – ein Frauenberuf? Interview 2016, veröffentlicht auf: https://christianebender.eu/wp-content/uploads/2022/09/Potsdam-2022-Interview-Kapitaenleutnant2.pdf

Christiane Bender (2015): Geschlechterdifferenz und Partnerschaft in der Bundeswehr, S. 357-377, in: Bohrmann, Thomas/Lather, Karl-Heinz/ Lohmann, Friedrich (Hrsg.): Handbuch Militärische Berufsethik. Band 2, Wiesbaden, VS Verlag

Christiane Bender (2005): Geschlechterstereotypen und Militär im Wandel. Symbolische und institutionelle Aspekte der Integration von Frauen in die Bundeswehr, S. 45-61 in: Ahrens, Jens-Rainer/Apelt, Maja/Bender, Christiane (Hg.): Frauen im Militär. Empirische Befunde und Perspektiven zur Integration von Frauen in die Streitkräfte, Wiesbaden, VS Verlag


Schauen Sie sich dazu auch meine Präsentation (2018):
„Frauen in der Bundeswehr“ an.

Autor: bender

https://www.xing.com/profile/Christiane_Bender16