„Der Preis der Zeitenwende“

Leserbrief zu „Der Preis der Zeitenwende“ (FAZ vom 28. 02. 2024, S. N 4)

Nach langer Zeit hat die Bundewehr einen charismatischen Verteidigungsminister, der die Aufgaben der Bündnis- und Landeverteidigung ins Zentrum seiner Amtsführung stellt. In seinen Reden überzeugt er durch beschönigungsfreie Realitätsbeschreibungen. Das sind wesentliche Voraussetzungen, um die Studierenden an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg zu begeistern und deren Sinnkrise, wie ich sie in 18 Dienstjahren (2001-2019) erlebte, zu überwinden. Zweifellos ist die Herausforderung groß, innerhalb einer überwölbenden und teilweise selbstbezüglich funktionierenden Bürokratie die Studiengänge für Offiziere nach dem universitären Maßstab der Freiheit von Forschung und Lehre auszurichten. Aber wenn der ideologische Mehltau verschwunden ist, der auf der Bundeswehr und vielen ihrer Einrichtungen lastete – das ist auch eine Generationsfrage -, dann setzt sich ein neues Selbstverständnis durch, das die Beschäftigung mit Krieg und Krisen, Wehrfähigkeit und Sicherheit für geboten anerkennt und darin nicht empört einen Beweis für die Militarisierung der Gesellschaft sieht. Die beiden Jahrzehnte vor der Regierungserklärung zur Zeitenwende (Feburar 2022) waren nicht nur durch Personalabbau, Modernisierungslücken und rhetorische Nebelkerzen (etwa die Kommentierung des Afghanistan-Einsatzes) gekennzeichnet, sondern vor allem durch einen identitätszerstörenden Verlust im kollektiven Gedächtnis hinsichtlich des bedeutenden Anteils der einsatzbereiten Bundeswehr für die Beendigung des Kalten Krieges. Dass die Universität der Bundeswehr 2003 den Namen ihres Gründers Helmut Schmidt schon zu dessen Lebzeiten (!) erhielt, hatte damals wohl weniger mit der Erinnerung an Schmidts Engagement für die Verteidigungsfähigkeit des Landes, von Europa und der NATO zu tun. Es ging m. E. eher darum, aus partei- und wahltaktischen Gründen in Hamburg ein Zeichen zu setzen und, darüber vermittelt, das Vertrauen in eine sozialdemokratische Ostpolitik zu stärken, die fälschlicherweise im Verzicht auf militärische Abwehrbereitschaft die Garantie für den Erhalt des Friedens sah. Diese Sicht galt auch noch, als Denkfabriken und zivile Universitäten (2014/15) schon die völkerrechtswidrigen Bedrohungen identifizierten und die damalige Verteidigungsministerin (Ursula von der Leyen) eine „Kehrtwende“ (2017) einleiten wollte. Die HSU sollte daher „ihre“ Zeitenwende nicht nur an der Einführung des Militärischen Sicherheitsbereichs (MSB) festmachen, sondern konstruktiv die neuen Herausforderungen in Forschung und Lehre zusammen mit den nun besonders geforderten Studierenden annehmen; dann gelingt auch die Überwindung der von Burghart Meißner beschriebenen „Desorientierung“ in der Einrichtung zu einer neuen Sinnbestimmung. In der Zeitenwende wird der Gewinn von Zukunft, zumal in einer Universität, über die wissenschaftliche Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit erreicht.

Autor: bender

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