Kurze Rede anlässlich des Thoma-Mann-Jahres auf einer Veranstaltung von NordBuch e. V.

Am 26.10.2025 habe ich meine Lesung mit einer kurzen Erinnerung an das Thomas-Mann-Jahr begonnen und danach Passagen aus „Miquelallee 1979“ gelesen, die sich mit einem Vergleich zweier literarischer Figuren befassen, Ulrich aus Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ und Hans Castorp aus Thomas Manns „Der Zauberberg“.

Liebe Frau Mirus-Broer, liebe Anwesende,

Thomas Mannbevor ich aus meinem Buch vorlese, möchte ich auf Bitten von Frau Mirus-Broer, an das ablaufende Jahr erinnern, in dem sich die literarische Welt um Thomas Mann drehte. Am 6. Juni konnten wir seines 150. Geburtstags und am 12. August seines 70. Todestags gedenken. Neue Ausgaben, Interpretationen und Biografien erschienen, die einladen, uns dem Zauberer zu widmen. Das heißt: uns erneut mit seinen großen Themen der menschlichen Existenz zwischen Tragik und Komik, zwischen Liebe, Leben, Krankheit und Tod, mit der Vergänglichkeit des Einzelnen und dem Überdauern von Musik und Kunst auseinanderzusetzen. Besonders nahe kommt uns gerade in diesem Jahr sein Werk, weil es dort durchweg um Schilderungen der Vorboten eines gravierenden Wandels der Lebensverhältnisse, sogar eines Epochenbruchs geht. Wir Heutigen befürchten eine Fortsetzung solcher Entwicklungen: In den Buddenbrooks (1901) steht die Erosion einer bürgerlichen Lebensform über Generationen hinweg im Mittelpunkt; auch in Unordnung und frühes Leid (1925) zerbricht das Einverständnis in Familien- und Freundeskreisen während der Weimarer Republik;  in Mario und der Zauberer (1930) beschreibt der Autor, wie sich in einem italienischen Urlaubsort der Faschismus mit Mitteln der Entmündigung der Menschen durch Massensuggestion verbreitet; im Davoser Sanatorium erleben die Patienten, darunter vor allem Hans Castorp, dass ihre Sehnsucht, die Grundsätze der Humanität neu zu bestimmen, hilflos bleibt, um drohendes Unheil abzuwenden: Die Geschichte des Zauberbergs (1912/13 – 1924) „spielt, oder, um jedes Präsens geflissentlich zu vermeiden, sie spielte und hat gespielt vor dem großen Kriege, mit dessen Beginn so vieles begann, was zu beginnen wohl kaum schon aufgehört hat.“ (Vorsatz S.19) Etwa bis heute?

Thomas Mann hat uns über die Verwerfungen seiner Zeit ein äußerst facettenreiches Bild hinterlassen.  Die nachdenkliche Lektüre seines Werkes trägt zu unserer Sensibilität und Wachsamkeit bei, sie kann uns Kraft geben, um hoffnungsvoll und klug den Bedrohungen unserer Gegenwart zu begegnen.

Autor: bender

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